Preisträgerin des Nobelpreises für Literatur 2022
Getting Lost ist das Tagebuch, das Annie Ernaux während des anderthalbjährigen geheimen Liebesverhältnisses mit einem jüngeren, verheirateten Mann, einem Attaché der sowjetischen Botschaft in Paris, führte. Ihr Roman, Simple Passion, basierte auf diesem Verhältnis, aber hier ist ihr Schreiben unmittelbar und ungeschönt. In diesen Tagebüchern ist es 1989 und Annie ist geschieden mit zwei erwachsenen Söhnen, lebt in den Vororten von Paris und nähert sich dem fünfzigsten Lebensjahr. Ihr Geliebter flüchtet aus der Stadt, um sie dort zu sehen, und Ernaux scheint nur in der Erwartung dieser Begegnungen zu überleben. Sie kann nicht schreiben, sie schleppt sich abgelenkt durch ihre verschiedenen anderen Verpflichtungen in der Welt, sie wartet auf seinen nächsten Anruf; sie lebt lediglich, um Verlangen zu empfinden und für das nächste Rendezvous. Wenn er weg ist und der Moment des Verlangens vergangen ist, hat sie das Gefühl, einen Schritt näher am Tod zu sein. Gelobt für ihre spärliche Prosa, beseitigt Ernaux hier alle Kunstgriffe, ihr Schreiben auf das Nackteste und Verwundbarste reduziert. Brillant zum ersten Mal übersetzt von Alison L. Strayer, ist Getting Lost ein eindringliches Dokument einer Frau, die in den Klauen von Liebe, Verlangen und Verzweiflung gefangen ist.
‘Wie Anna Karenina und Madame Bovary sollte Ernauxs Affäre als eine der großen Liaisen der Literatur gezählt werden. ... Ich vermute, das Buch wird eine Art Totem für Liebende werden: ein Handbuch, um ihnen zu helfen, ihr Zentrum zu finden, wenn sie, wie Ernaux, in der Liebe verloren sind. Alle ihre Bücher haben die Qualität, fragile menschliche Details vor dem Vergessen zu bewahren. Zusammen erzählen sie, in Fragmenten, die Geschichte einer Frau im zwanzigsten Jahrhundert, die voll und ganz gelebt hat, Schmerz und Glück gleichermaßen gesucht hat und dann ihre Erkenntnisse wahrhaftig auf Papier gebracht hat. Ihr Leben ist unser Erbe.’— Ankita Chakraborty, Guardian
‘Ernaux hat einmal mehr ein lebendiges Dokument existenziellen Schreckens und Hoffnung geschaffen.’— Catherine Taylor, Irish Times
‘Die fast primitive Direktheit ihrer Stimme ist erfrischend. Es ist, als ob sie jeden Satz mit einem Messer auf die Oberfläche eines Tisches schnitzt… Getting Lost ist ein fieberhaftes Buch. Es geht darum, von Verlangen durchbohrt zu werden, und um die Dinge, die menschliche Wesen wollen, im Gegensatz zu den Dingen, mit denen sie sich zufriedengeben… es ist eines dieser Bücher über Einsamkeit, das dich auf jeder Seite weniger allein fühlen lässt.’— Dwight Garner, New York Times
‘Annie Ernaux ist eine meiner Lieblingsautoren der Gegenwart, originell und wahr. Nach dem Lesen eines ihrer Bücher gehe ich monatelang in ihrer Welt umher.’— Sheila Heti, Autorin von Motherhood
‘Ernaux ist eine ungewöhnliche Memoiristin: Sie misstraut ihrem Gedächtnis… Ernaux offenbart nicht so sehr die Vergangenheit – sie gibt nicht vor, irgendeinen autoritativen Zugang dazu zu haben – sondern unpackt sie.’— Madeleine Schwartz, New Yorker
‘Sie zu lesen ist wie einen Freund kennenzulernen, so wie sie dir über sich selbst in langen Gesprächen erzählt, die manchmal Jahre dauern, und langsam Dinge offenbart, zurückschleift zu einigen Teilen ihres Lebens immer wieder.’— Joanna Biggs, London Review of Books
‘Ich finde ihr Werk außergewöhnlich.’— Eimear McBride, Autorin von A Girl is a Half-Formed Thing
‘Ernaux hat Beauvoirs Rolle als Chronistin einer Generation geerbt.’— Margaret Drabble, New Statesman
‘Über die umfangreichen Besonderheiten von über vierzig Jahren und einundzwanzig Büchern, fast alles kurze, themengetriebene Memoiren, hat Ernaux das Genre in der französischen Literatur grundlegend destabilisiert und neu erfunden.’— Audrey Wollen, The Nation
‘Annie Ernaux schreibt Memoiren mit solch Großzügigkeit und verletzlicher Kraft, dass ich es schwierig finde, meine eigenen Erinnerungen von ihren zu trennen, lange nachdem ich das Lesen beendet habe.’— Catherine Lacey, Autorin von Pew
‘Ernauxs Schreiben, in Alison L. Strayers meisterhafter Übersetzung, ist dreist und offen. Trotz der zyklischen, sich wiederholenden Natur der Ereignisse – die Ekstase, ihren Geliebten wiederzusehen, das Grauen seines Weggangs, die Gefühle der Melancholie, nachdem er gegangen ist, die Qual des Wartens und Hoffens auf seinen Anruf, wieder und wieder – ist das Schreiben dringend und fesselnd… Sie ist eine Autorin seltener Kaliber, eine Frau, die mit solcher Ehrlichkeit und vor allem Menschlichkeit schreibt, dass sie ihr Werk unwiderstehlich macht.’— Rachel Farmer, Lunate
‘Von den ersten Zeilen an fühlen wir uns, wie sie, in der Schwindelgefühle des Wartens gefangen, besessen von dem Telefon, das nie klingelt, der Zeit, die zu schnell vergeht, und den Treffen, die seltener werden. Liebe, Tod und Literatur sind ständig in dieser Geschichte verwoben, die uns in die Intimität eines Paares eintauchen lässt, ohne uns jemals den Eindruck zu vermitteln, Voyeur zu sein.’— Pascale Frey, ELLE
Geboren 1940, wuchs Annie Ernaux in der Normandie auf, studierte an der Universität Rouen und lehrte später an einer Sekundarschule. Von 1977 bis 2000 war sie Professorin am Centre National d’Enseignement par Correspondance. 2017 wurde Annie Ernaux mit dem Marguerite Yourcenar Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. 2022 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Alison L. Strayer ist eine kanadische Schriftstellerin und Übersetzerin. Ihr Werk wurde für den Governor General’s Award for Literature und für Translation, den Grand Prix du Livre de Montréal nominiert und für den Prix Albertine in die Longlist aufgenommen. Ihre Übersetzung von The Years wurde mit dem French-American Prize 2018 ausgezeichnet, 2019 für den Man Booker International nominiert und mit dem Warwick Prize for Women in Translation ausgezeichnet, das sowohl Autorin als auch Übersetzerin ehrt.